Vitamin A
Definition, Synthese, Resorption, Transport und Verteilung

Als Vitamin A werden natürliche und synthetische Verbindungen mit chemisch ähnlicher Struktur, jedoch unterschiedlicher biologischer Wirksamkeit bezeichnet. Von der IUPAC-IUB Joint Commission on Biochemical Nomenclature wurde aufgrund der chemischen Gemeinsamkeiten eine einheitliche Nomenklatur vorgeschlagen (1982). Danach ist Vitamin A ein Oberbegriff für Verbindungen, die keine Carotinoide sind und die biologische Aktivität von Retinol, dem Vitamin A-Alkohol, aufweisen.

Diese Begriffsdefinition ist im Hinblick auf die orthomolekulare Wirkung problematisch, da nicht alle Vitamin A-Derivate (Abkömmlinge) die volle Vitamin A-Wirksamkeit besitzen.
Aus diesem Grund empfiehlt sich eine Einteilung nach biologisch-medizinischem Aspekt. Ihr zufolge gilt die Bezeichnung Vitamin A für Verbindungen, die über alle Wirkungen des Vitamins verfügen. Zu diesen Verbindungen gehören sowohl Retinol und Retinylester (Fettsäureester des Retinols), wie Retinylacetat, -palmitat und -propionat, die zu Retinal und Retinsäure metabolisierbar (verstoffwechselbar) sind, als auch Carotinoide mit Provitamin A-Aktivität, wie Beta-Carotin. Retinoide –natürliche und synthetische Retinsäure-Derivate – weisen hingegen keine vollständige Vitamin A-Wirkung auf, da sie nicht zur Ausgangssubstanz Retinol verstoffwechselt werden können. Sie haben weder Einfluss auf die Spermatogenese (Bildung von Spermien) noch auf den Sehzyklus [3, 5, 6, 9, 10].

Die biologische Wirkung von Vitamin A wird in Internationalen Einheiten (IE) beziehungsweise in Retinol-Äquivalenten (RE) angegeben:

  • 1 IE Vitamin A entspricht 0,3 µg Retinol
  • 1 RE entspricht 1 µg Retinol
                            6 µg Beta-Carotin
                          12 µg anderer Carotinoide mit Provitamin A-Wirkung [6, 9]

Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Bioverfügbarkeit von alimentär (mit der Nahrung) zugeführten Vitamin A-aktiven Carotinoiden und ihre Biokonversion (enzymatische Umwandlung) zu Retinol bisher deutlich überschätzt wurden. Nach neueren Erkenntnissen weisen Provitamin-A-Carotinoide nur 50 % der bislang angenommenen Retinolaktivität auf. So ist der Umrechnungsfaktor 6, der zur Berechnung der Vitamin A-Aktivität von Beta-Carotin verwendet wurde, inzwischen nach oben korrigiert worden [7].

Es wird heute davon ausgegangen, dass 1 µg Retinol

  • 12 µg Beta-Carotin beziehungsweise
  • 24 µg anderer Carotinoide mit Provitamin A-Wirkung entsprechen [7]

Strukturmerkmal von Vitamin A ist die mehrfach ungesättigte Polyenstruktur, bestehend aus vier Isoprenoideinheiten mit konjugierten Doppelbindungen (ein chemisches Strukturmerkmal, welches abwechselnd eine Einfachbindung und eine Doppelbindung aufweist). Die isoprenoide Seitenkette ist an einem Beta-Iononringgebunden. Am Ende des azyklischen Teils befindet sich eine funktionelle Gruppe, die im Organismus verändert werden kann. So führt eine Veresterung (Gleichgewichtsreaktion, bei der ein Alkohol mit einer Säure reagiert) des Retinols mit Fettsäuren zu Retinylester und eine Oxidation des Retinols reversibel (umkehrbar) zu Retinal (Vitamin A-Aldehyd) beziehungsweise irreversibel (unumkehrbar) zu Retinsäure [1, 6, 9].

Sowohl der Beta-Iononring als auch die isoprenoide Kette sind molekulare Voraussetzungen für die Vitamin A-Wirksamkeit. Veränderungen am Ring beziehungsweise eine Seitenkette mit < 15 C-Atomen und < 2 Methylgruppen führen zu Aktivitätsminderungen. So besitzen Carotinoide mit einem sauerstofftragenden Ring oder ohne Ringstruktur keine Vitamin A-Aktivität. Eine Umwandlung des all-trans-Retinols zu seinen cis-Isomeren führt zu einer Strukturänderung und geht ebenfalls mit einer geringeren biologischen Aktivität einher [1, 6].

Synthese

Vitamin A kommt ausschließlich im tierischen und menschlichen Organismus vor. Dabei stammt es weitgehend aus dem Abbau von Carotinoiden, die der Mensch beziehungsweise die Tiere mit der Nahrung aufnehmen. Der Umbau der Provitamine A erfolgt im Darm und in der Leber.
Bei dezentraler Spaltung von Beta-Carotin durch das Enzym 15,15´-Dioxygenase – Carotinase – der Enterozyten (Zellen des Dünndarmepithels) entsteht je nach Ort der Degradation (Zerlegung) des Moleküls 8´-, 10´- oder 12´-Beta-Apocarotinal, das durch weiteren Abbau beziehungsweise Kettenverkürzung zu Retinal umgewandelt wird.
Bei zentraler Spaltung von Beta-Carotin durch die Alkohol-Dehydrogenase der Leber werden zwei Moleküle Retinal regeneriert (gebildet). Retinal kann in der Folge entweder zum biologisch aktiven Retinol reduziert – reversibler Prozess – oder zu Retinsäureoxidiert werden – irreversible Umwandlung. Die Oxidation von Retinal zu Retinsäure findet jedoch im weitaus geringeren Maße statt [1, 3, 9, 10].

Die Umwandlung von Beta-Carotin und anderen Provitaminen A in Retinol unterscheidet sich bei verschiedenen Spezies und ist von den Merkmalen der Nahrung, die die intestinale Absorption beeinflussen, sowie von der individuellen Vitamin A-Versorgung abhängig.

Etwa wirkungsgleich mit 1 µg all-trans-Retinol sind:

  • 2 µg Beta-Carotin in Milch; 4 µg Beta-Carotin in Fetten
  • 8 µg Beta-Carotin in mit Fett zubereiteten homogenisierten Möhren oder gekochtem Gemüse
  • 12 µg Beta-Carotin in gekochten, passierten Möhren [1, 8, 11]

Resorption

Wie alle fettlöslichen Vitamine wird auch Vitamin A im Rahmen der Fettverdauung im oberen Dünndarm resorbiert (aufgenommen), d.h. die Anwesenheit von Nahrungsfettenals Transportmittel der lipophilen (fettlöslichen) Moleküle, Gallensäuren zur Solubilisierung (Erhöhung der Löslichkeit) und Micellenbildung (Bildung von Transportkügelchen, welche fettlösliche Substanzen in wässriger Lösung transportierbar machen) und Esterasen (Verdauungsenzymen) zur Spaltung der Retinylester ist für eine optimale intestinale Aufnahme (Aufnahme über den Darm) notwendig.

Vitamin A wird entweder in Form seines Provitamins – meist Beta-Carotin – aus pflanzlichen Lebensmitteln oder in Form seiner Fettsäureester – meist Retinylpalmitat – aus tierischen Produkten aufgenommen. Die Retinylester werden im Darmlumen durch die Cholesterylesterase (Verdauungsenzym) hydrolytisch (durch Reaktion mit Wasser) gespalten. Das dabei freiwerdende Retinol gelangt als Bestandteil der gemischten Micellen an die Bürstensaummembran der Mucosazellen (Zellen der Darmschleimhaut) und wird internalisiert (nach innen aufgenommen) [1-4, 6, 9, 10].

Die Absorptionsrate von Retinol liegt je nach Literatur zwischen 70-90 % und hängt stark von Art und Menge gleichzeitig zugeführter Fette ab [1, 3, 4]. Während im physiologischen (für den Stoffwechsel normalen) Konzentrationsbereich die Resorption von Retinol nach einer Sättigungskinetik energieunabhängig entsprechend einer Carrier-vermittelten passiven Diffusion erfolgt, werden pharmakologische Dosen mittels passiver Diffusion absorbiert [9].
In den Enterozyten (Zellen des Dünndarmepithels) wird Retinol an das zellulär retinolbindende Protein II (CRBPII) gebunden und durch die Enzyme Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT) und Acyl-CoA-Retinol-Acyltransferase (ARAT) mit Fettsäuren, vor allem mit Palmitinsäure, verestert. Es folgt die Inkorporation (Aufnahme) der Retinylester in Chylomikronen (fettreiche Lipoproteine), die über die Lymphe in den peripheren Blutkreislauf gelangen und dort zu Chylomikronen-Remnants (fettarme Chylomikronen-Restpartikel) abgebaut werden [2, 3, 6, 9, 10].

Transport und Verteilung im Körper

Während des Transports zur Leber können die Retinylester in geringem Umfang über das Enzym Lipoproteinlipase (LPL) in verschiedene Gewebe, zum Beispiel Muskel-, Fettgewebe und Milchdrüse, aufgenommen werden. Der überwiegende Teil der veresterten Retinol-Moleküle verbleibt jedoch in den Chylomikronen-Remnants, die an spezifische Rezeptoren (Bindungsstellen) der Leber binden. Es resultiert die Aufnahme der Retinylester in die Leber und die Hydrolyse zu Retinol in den Lysosomen (Zellorganellen) der Parenchymzellen. Im Zytoplasma der Parenchymzellen wird Retinol an das zellulär retinolbindende Protein (CRBP) gebunden. Das an CRBP gebundene Retinol kann einerseits in den Parenchymzellen als kurzfristiger Speicher dienen, funktionell genutzt beziehungsweise metabolisiert werden und andererseits als überschüssiges Retinol von den perisinusoidalen Stellatumzellen (fettspeichernde Stern- oder Ito-Zellen; 5-15 % der Leberzellen) nach Veresterung – meist mit Palmitinsäure – als Retinylester langfristig gespeichert werden [2, 3, 6, 9].
Die Retinylester der perisinusoidalen Stellatumzellen machen etwa 50-80 % des gesamten Vitamin A-Pools des Körpers und etwa 90 % der gesamten Leberkonzentration aus. Die Speicherkapazität der Stellatumzellen ist nahezu unbegrenzt. So können diese Zellen selbst bei chronisch hoher Zufuhr ein Vielfaches der üblichen Speichermenge aufnehmen [2, 3].
Gesunde Erwachsene weisen eine durchschnittliche Konzentration an Retinylestern von 100-300 µg und Kinder von 20-100 µg pro g Leber auf. Die Halbwertszeit der in der Leber gespeicherten Retinylester beträgt 50-100 Tage, bei chronischem Alkoholkonsum auch weniger [1-3, 6, 9].

Zur Mobilisierung von gespeichertem Vitamin A werden die Retinylester durch eine spezifische Retinylesterhydrolase (ein Enzym) gespalten. Das entstehende, zunächst an CRBP gebundene Retinol wird an das intrazelluläre (innerhalb der Zelle befindliche)apo-retinolbindende Protein (Apo-RBP) abgegeben, gebunden und als Holo-RBP ins Blutplasma sezerniert (abgesondert). Da der Retinol-RBP-Komplex aufgrund seines geringen Molekulargewichts rasch im glomerulären Filtrat der Niere verloren gehen würde, kommt es im Blut zur reversiblen Bindung des Holo-RBP an Transthyretin (TTR, thyroxinbindendes Präalbum). Der Retinol-RBP-TTR-Komplex (1:1:1) gelangt zu den extrahepatischen (außerhalb der Leber gelegenen) Geweben, wie Retina, Hoden und Lunge, wo Retinol von den Zellen rezeptorvermittelt aufgenommen und intrazellulär an CRBP gebunden wird, um sowohl in der Zelle als auch durch Blut-/Gewebsschranken tranportiert werden zu können. Während das extrazelluläre verbleibende TTR für erneute Transportprozesse im Blutplasma zur Verfügung steht, wird Apo-RBP von der Niere katabolisiert (abgebaut) [2, 3, 6, 9].

 Im Stoffwechsel der Zellen finden unter anderem folgende Umwandlungen statt:

  • Reversible Dehydrogenierung (Abspaltung von Wasserstoff) des Retinols –Retinol ↔ Retinal
  • Irreversible Oxidation des Retinals zu Retinsäure – Retinal → Retinsäure
  • Isomerisierungen (Umwandlung des Moleküls in ein anderes Isomer) – trans ↔cis – des Retinols, Retinals oder der Retinsäure
  • Veresterung des Retinols mit Fettsäuren – Retinol ↔ Retinylester – zur kurzfristigen Überbrückung eines Versorgungsdefizits

Retinsäure – all-trans und 9-cis – interagiert in den Zielzellen, gebunden an daszellulär retinsäurebindende Protein (CRABP), mit nukleären Retinsäurerezeptoren – RAR und RXR mit Subtypen –, die zur Familie der Steroid-Thyroid- (Schilddrüsen-)Hormonrezeptoren gehören. RXR binden bevorzugt 9-cis-Retinsäure und bilden Heterodimere (aus zwei unterschiedlichen Untereinheiten zusammengesetzte Moleküle) durch Kontakt mit anderen Rezeptoren, wie all-trans-Retinsäure-, Trijodthyronin- (T3; Schilddrüsenhormon-), Calcitriol- (Vitamin D-), Östrogen- oder Progesteron-Rezeptoren. Die nukleären Retinsäurerezeptoren beeinflussen als Transkriptionsfaktoren durch Bindung an spezifische DNA-Sequenzen die Genexpression. Damit ist Retinsäure ein wichtiges Regulans fürWachstum und Differenzierung von Zellen und Geweben [2, 3, 9].

Ausscheidung

Etwa 20 % des oral zugeführten Vitamin A werden nicht resorbiert und über Galle und Fäzes beziehungsweise den Urin eliminiert. Um Vitamin A in eine ausscheidbare Form zu überführen, wird es – wie alle lipophilen (fettlöslichen) Substanzen – derBiotransformation unterzogen [6, 9].

Die Biotransformation findet in der Leber statt und kann in zwei Phasen unterteilt werden:

  • In Phase I wird Vitamin A zur Erhöhung der Löslichkeit durch das Cytochrom-P-450-System hydroxyliert (Einfügen einer OH-Gruppe)
  • In Phase II erfolgt die Konjugation mit stark hydrophilen (wasserlöslichen) Stoffen – dazu wird mit Hilfe der Glucuronyltransferase Glucuronsäure auf die zuvor eingefügte OH-Gruppe von Vitamin A übertragen [9]

Ein Großteil der Metabolite ist noch nicht aufgeklärt. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es sich bei den Ausscheidungsprodukten vorwiegend umglucuronidierte und freie Retinsäure beziehungsweise 4-Ketoretinsäure handelt [9].

Literatur

  1. Bässler K.-H., Golly I., Loew D., Pietrzik K. (2002) Vitamin-Lexikon für Ärzte, Apotheker und Ernährungswissenschaftler. 3. Auflage. Urban & Fischer, München
  2. Biesalski H. K., Köhrle J., Schümann K. (2002) Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe. Prävention und Therapie mit Mikronährstoffen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart
  3. Biesalski H. K., Fürst P., Kasper H. et al. (2004) Ernährungsmedizin. Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. 3. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart
  4. Gerster H. (1997) Vitamin A – functions, dietary requirements and safety in humans. Int J Vitam Nutr Res; 67: 71-90
  5. Hahn A. (2001) Nahrungsergänzungsmittel. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart
  6. Hahn A., Ströhle A., Wolters M. (2006) Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart
  7. IOM (2001) Institute of Medicine. Food and Nutrition Board: Dietary Reference Intakes for Vitamin A, Vitamin K, Arsenic, Boron, Chromium, Copper, Iodine, Iron, Manganese, Molybdenum, Nickel, Silicon, Vanadium and Zinc. National Academy Press, Washington DC
  8. Kasper H. (2004) Ernährungsmedizin und Diätetik. 10. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München
  9. Pietrzik K., Golly I., Loew D. (2008) Handbuch Vitamine. Für Prophylaxe, Beratung und Therapie. Urban & Fischer Verlag, München
  10. Schmidt E. und Schmidt N. (2004) Leitfaden Mikronährstoffe. Orthomolekulare Prävention und Therapie. 1. Auflage. Urban & Fischer Verlag, München
  11. West C.E. (2000) Meeting requirements for vitamin A. Nutr Rev; 58: 341-345